Nachdenken über Peter Drehers BildBilder
jeweils 25 x 20 cm, Öl auf Holz, 1990 – 92
Gibt man in die Suchmaschine google das Wort Bild ein, erscheint an erster Stelle: Die seit dem 24. Juni 1952 im Axel-Springer-Verlag erscheinende über-regionale Boulevardzeitung war lange Zeit die auflagenstärkste Tageszeitung Europas. Auf Seite 3 erscheint das ein kleiner Eintrag zu VG Bild-Kunst und auf Seite 5 Geschreddertes Banksy Bild.
Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild. Bild hat mit Kunst zu tun. Nicht unbedingt.
Bild assoziiert zunächst einmal ein ganzes Universum, das die auflagenstärkste Tageszeitung seit nunmehr 66 Jahren erschaffen hat. Wie keine andere Zeitung hat BILD die Wahrnehmung bundesrepublikanischer Befindlichkeit geprägt, die politische Einstellung des deutschen Michel, Ängste und Hoffnungen des sogenannten kleinen Mannes reflektiert, wie kein anderes Blatt polarisiert: BILD stand für BLÖD in den Augen der selbst ernannten deutschen Intelligenzia.
In der Suchmaschine erfährt man über das Bild als Kunstwerk auf den ersten Seiten nichts, nichts über Bilder als Abbildungen der Wirklichkeit oder als Phantasieerzeug-nisse von Künstlern und Kindern. Irgendwie scheint diese Vorstellung in der Auffassung der heutigen Wissenskonsumenten in den Hintergrund gerückt zu sein. Bringt man den Begriff Bild mit dem Begriff Künstler zusammen erscheint folgender link: Berühmte Künstler und Maler aller Kunststile – Kunstkopie.
Der Wandel in eine heutige Informationsgesellschaft verlief rasant und brauchte ein wenig mehr als zwei Jahrzehnte, seit 1990 das worldwideweb erfunden wurde. Sein Wissensspeicher wirft in Sekundenbruchteilen Milliarden von Bildern aus, deren Allzeitverfügbarkeit dazu geführt hat, dass wir immer weniger wahrnehmen, sehen und betrachten. Geht man heute in ein Museum, das zu den must haves gehört, wird man sich am Nachmittag kaum in Häusern wie dem Pariser Louvre oder dem New Yorker Metropolitan Museum vorwärtsbewegen können. Menschenmassen hindern einen am Flanieren und Betrachten. Eine begrüßenswerte Entwicklung? Wird Kunst nun endlich demokratisch und ist nicht mehr nur den gebildeten Eliten vorbehalten? Nicht unbedingt. Die Besucher betrachten nicht. Sie nehmen fast ausschließlich durch das Objektiv ihres Handys wahr. Sie streichen und klicken, so als wäre nur das durch das Objektiv Betrachtete authentisch. Die Museumsbesucher werden zu ihren eigenen Zeitzeugen. Sie stehen neben dem Edouard Manet und lassen sich fotografieren. So als wäre der Manet nur durch die Abbildung, die zuhause übrigens niemand interessiert, in ihrem Mobiltelefon real.
Peter Dreher, der bis jetzt nicht unbedingt als politischer Künstler in Erscheinung getreten ist, löst eine Assoziation aus, die den Begriff Bild(zeitung) mit dem tatsächlichen Bild (Kunstwerk) zusammenbringt und problematisiert damit unsere heutigen Seh- und Betrachtungsweisen auf das Subtilste. Die 1985 entstandene Werkreihe ist in einer Zeit der fake news und allgegenwärtigen medialen Bilderflut wieder hochaktuell. Diese Werkkomplex, die der Künstler als BildBilder bezeichnet, ließe sich am ehesten mit Hilfe des Begriffs der post pop art verorten. In einer beginnenden Konsum- und Mediengesellschaft, wie sie sich Ende der fünfziger und sechziger Jahre vor allem in den USA entwickelte, änderte sich auch die Funktion und Bedeutung von Werken der Bildenden Kunst. Diese Arbeiten sind als pop art in die Geschichte eingegangen und ihr Idol war ein exzentrischer Mann mit weißblonder Perücke – Andy Warhol. All is pretty wurde zu einem Credo und bedeutete, dass alles würdig war, als Bildgegenstand verwendet zu werden: Waschmittelkartons, Dosensuppen, der elektrische Stuhl, Unfälle und knüppelnde Polizisten, daneben Filmstars und Präsidentenwitwen und all jene, die horrende Summen bezahlen konnten, um von Warhol porträtiert zu werden. Das Banale wurde zur Kunst. Warhol und andere Vertreter der pop art arbeiten mit Bildvorlagen. Ein massenhaft und maschinell hergestellter Produktname – campbells oder brillo - wurde durch künstlerische Verfahren von einem Massenprodukt wieder in ein singuläres Kunstwerk verwandelt. Dieses wirkte in seiner äußeren Anmutung wiederum wie ein Massenprodukt. Warhols Brillo–Serie offenbart die geniale Mimikry. Die Grenze zwischen Hochkunst und Werbeästhetik wird fließend.
Peter Dreher bezeichnete einmal in einer Podiumsdiskussion Andy Warhol als einen der bedeutensten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts. Bereits in der Nachkriegszeit waren die Vereinigten Staaten von Amerika sein Sehnsuchtsland. Er folgte dieser Sehnsucht, als er 1980 für ein einjähriges Sabbitical nach New York ging. Dort nahm er den dortigen Lifestyle in vollen Zügen auf und malte unter anderem viele Stadtansichten.
Ein Nachhall dieses Aufenthaltes schlug sich in eben jener Werkreihe Bildbilder nieder. Hier frappiert die Vielzahl der Bildmotive. Wie bei Warhol steht hier neben plakativer Werbeäthetik ein Zitat des eigenen Werkes, eine Schwarzwaldlandschaft, neben dem rosafarbenen Inkarnat einer Pronodarstellerin die hochgetunte, makellose Schönheit, die für Parfum wirbt.
Der Illusionismus, der viele Werke Peter Drehers auszeichnet, lässt auf den ersten Blick an eine Fotografie denken. Nähert man sich dem Gemälde, löst sich die scheinbar glatte, makellose Fläche in lauter kleine Farbinseln auf. Der Maler erklärt seine Vorgehensweise folgendermaßen:
30 Jahre Nachdenken über Malerei, 30 Jahre Zweifel, 30 Jahre Neubeginn nach Neubeginn, hat sich die Art der Herstellung gewandelt. Das Bewusstsein, es mit einer Fläche zu tun zu haben, ist deutlicher geworden. Die dargestellten Elemente, Realitätspartikel werden als Inseln verstanden und als solche verwendet. So nehmen wir auch die Welt wahr – als einzelne kleine Sehinseln, als Ausschnitte am Gesamten, die wir durch Bewegung unseres Auges durch und über das Realitätsbild vor uns schweifend zusammenfügen. So kann man – analog so unserem Wahrnehmungsvorgang – jedes einzelne Detail des Bildes (in Gedanken) aus dem Bild herausnehmen und wieder einfügen. Von Insel zu Insel entstehen Anschlüsse, Grenzen, Kanten. Die können ganz unterschiedlich sein, hart, präzise, bis zu weich bis zu kaum noch wahrnehmbar ineinander schmelzend. Die Präzision, wie diese Übergänge der Realität einerseits und den Bildgesetzen andererseits gerecht werden, bestimmt mir die Qualität des Bildes, die Anmutung, das Bild sei gelungen, sei richtig.
Durch sein farbchromatisches absolutes Sehen gelingt es Peter Dreher, die Farben so zu fragmentieren und wieder zusammenzusetzen, dass sie aus einer gewissen Entfernung eine frappierende Realitätsnähe entwickeln. Nicht jedem Maler ist eine solche feine Farbaneignung und – wiedergabe gegeben. Schon in der griechischen Antike faszinierten jene Künstler, die besonders wirklichkeitsgetreu malen konnten. So ist aus dem vierten Jahrhundert vor Christus der Wettkampf zweier Maler, zwischen Zeuxis und Parrhasius, überliefert: Zeuxis malte im Wettstreit mit Parrhasius so naturgetreue Trauben, dass Vögel herbeiflogen, um an ihnen zu picken. Daraufhin stellte Parrhasius seinem Rivalen ein Gemälde vor, auf dem ein leinener Vorhang zu sehen war. Als Zeuxis ungeduldig bat, diesen doch endlich beiseite zu schieben, um das sich vermeintlich dahinter befindliche Bild zu betrachten, hatte Parrhasius den Sieg sicher, da er es geschafft hatte, Zeuxis zu täuschen. Der Vorhang war nämlich gemalt.
Peter Dreher gehört zu den old fashioned Künstlern, die eigentlich nicht nach Abbildungen malen. Man denke an die Landschaftsgemälde Schöne Tage im Hochschwarzwald oder die Veduten, die in New York, Gran Canaria oder in Venedig entstanden sind. Das Besondere an diesen Werken ist, dass sie vor Ort entstanden sind und damit in einer Maltradition stehen, die heute eher als gestrig und überholt gilt. Für Dreher hat den Anspruch, das Abbild direkt von der Wirklichkeit zu übersetzen. Natürlich war ihm dabei bewusst, dass die Motive durch seine Wahrnehmung, seine Erfahrung und seine Vorerwartung Interpretationen des Gesehenen darstellen.
Bei den Bildbildern wird diese Anverwandlung noch weiter getrieben, da sich der Künstler einer Abbildung und damit einer vorgegebenen Interpretation bedient. Das flächige, gerasterte Massenprodukt einer Werbefotografie wird zurückverwandelt in ein Unikat, in dem sich die Virutosität des Künstlers ausdrückt.
Vielleicht wird gerade in diesem durch die millionenfache Betrachtung abgenutzten Sujets eines Nike Logos oder einer Parfumwerbung die Alleinstellung und Bedeutung des von Hand gemalten Bildes besonders deutlich.
Ein Gemälde ist die Summe von Tausenden von Entscheidungen, der Wahl des Malgrundes, des Werkzeuges, der Farben und ihrer Mischungen, des
Bildausschnittes und der Komposition. Ein Künstlerkönner unterscheidet sich insofern von einem Dilettanten, als seine Entscheidungen immer die richtigen sind. Ihn zeichnet dabei eine schlafwandlerische Sicherheit aus, eine dem Werk angemessene Lösung zu finden, damit das innere Gesetz eines Werkes verwirklicht werden kann. Diese innere Richtigkeit empfindet der Betrachter als schön. Ästhetik – αἴσθησις aísthēsis – bedeutet im Altgriechischen Wahrnehmung und Empfindung. Beide Begriffe werden hier als Synonym gesetzt. So empfinden wir bei der Betrachtung von etwas Gelungenem, Schönem auch ein Wohlgefühl.
Die von Peter Dreher gemalten Oberflächen und Farbmischungen haben eine ungeheure Spannbreite. Der Duktus ist in manchen Gemälden nicht zu erkennen, die Farbübergänge bei Wolkenformationen so weich und unmerklich, dass sie an die Himmelsveduten eines Claude Lorrain erinnern, daneben dichte Gewebe wie aus Fäden gewirkt, in den Valeurs der gewählten Farbe schimmernd.
Die Treffsicherheit bei der Farbwahl, die den hohen Grad seines Illusionismus ausmacht, ist der Fähigkeit zur Fragmentierung seines absoluten Sehens zu verdanken. Peter Drehers Malerei hat etwas Sinnliches, ja fast Erotisches. Man möchte die Malflächen berühren und spüren. Er rechtfertigt mit seiner Meisterschaft die Tatsache, dass wir Malerei brauchen, da uns das Bild, das Abbild von etwas nicht genügt.
Peter Drehers Werke sind hochkomplex, da sie mehrere Ebenen bzw. Brechnungen enthalten, denn der Maler lässt uns beim genüßlichen Betrachten nicht verharren. Er „stempelt“ das Gemälde, in das wir uns vertiefen, ab: Er hat über die delikaten Flächen mit schlichten schwarzen Lettern den Schriftzug Bild gesetzt. Nachdrücklich weist er uns darauf hin, dass wir eine Illusion betrachten.
Ist die erste Schicht eines Bildbildes ein Plädoyer für die Berechtigung von Malerei, wird der Betrachter durch das Wort auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Mach es dir nicht zu gemütlich, scheint ihm der Maler zuzurufen. Dieser möchte sich nicht von seiner Sehnsucht und seinem Wohlgefühl so einfach trennen und schaut auf die vollendeten Malflächen wie durch ein Gitter oder einen Spalt an den Buchstaben vorbei.
Die Realität können wir nur in Form einer Collage, des Puzzles, erschaffen. Wir fassen einen Ausschnitt ins Auge, sehen diesen ganz scharf und alles Übrige in unserem Gesichtsfeld ist unscharf, es dringt nicht vor. (...) Selbst wenn wir ein Bild anschauen, also eine als Puzzle verfertigte Künstlichkeit, müssen wir von einer Stelle zur anderen wandern, und oft bleibt von einem Interieur nur ein Glas, ein Stück Boden, ein Kleidungsstück einer Figur, eine Perle oder ein Auge.
Ceci n’est pas une pipe nannte der belgische Maler René Magritte sein Gemälde, auf dem eine Pfeife zu sehen war. Ein Bild ist ein Bild ist ein Bild – und nichts sonst.
Unsere heutige, durch die allgegenwärtige Bilderflut abgestumpfte Wahrnehmung erinnert an die Gefangenen in Platons Höhlengleichnis. Der antike Philosoph schildert, wie Menschen in einer Höhle leben, die sie ihr ganzes Leben nicht verlassen werden. Sie sind an Schenkeln und am Nacken gefesselt, sodass sie immer nur nach vorn auf die beleuchtete Höhlenwand blicken können. Was sich hinter ihnen abspielt, können sie nicht sehen, da sie nur den Zustand kennen, in dem sie sich befinden. Erhellt wird ihre Behausung von einem Feuer, das hinter ihnen weit oben in der Ferne brennt und durch das spärliche Licht, das von außen durch Höhleneingang in das Innere dringt. Die Gefangenen sehen nur dieses Licht, das die Wand beleuchtet, nicht aber dessen Quelle. Auf der Wand sehen sie bewegte Schatten, die von den Gegenständen, die hinter ihnen vorbeigetragen werden, erzeugt werden Die Dinge selber sehen die allerdings nicht. Dabei sind die Gegenstände bereits Nachbildungen menschlicher Gestalten und anderer Lebenwesen und nicht das Original selber.
Wenn jemand spricht, hallt das Echo von der Höhlenwand so zurück, als ob die Schatten sprächen. Daher meinen die Gefangenen, die Schatten könnten sprechen. Sie betrachten die Schatten als Lebewesen und deuten alles, was geschieht, als deren Handlungen. Das, was sich auf der Wand abspielt, ist für sie die gesamte Wirklichkeit und schlechthin wahr. Sie entwickeln eine Wissenschaft von den Schatten und versuchen in deren Auftreten und Bewegungen Gesetzmäßigkeiten festzustellen und daraus Prognosen abzuleiten. Lob und Ehre spenden sie dem, der die besten Voraussagen macht.
Der Philsoph Platon geht in einem Scheingespräch der Frage nach, was geschähe, wenn einer der Gefangenen losgebunden und genötigt würde, aufzustehen, sich umzudrehen, zum Ausgang zu schauen und sich den Gegenständen selbst, deren Schatten er bisher beobachtet hat, zuzuwenden. Er würde wohl schmerzhaft vom Licht geblendet und verwirrt sein. Er hielte die nun in sein Blickfeld gekommenen Dinge für weniger real als die ihm vertrauten Schatten und hätte von daher das Bedürfnis, wieder seine gewohnte Position einzunehmen, davon überzeugt, nur an der Höhlenwand die Wirklichkeit zu finden. Vermutlich würde er gegenteiligen Belehrungen eines wohlgesinnten Befreiers keinen Glauben schenken.
Durch seine Strategie der doppelten Brechung, indem er eine Illusion schafft, um diese im durch die Aufschrift BILD im gleichen Atemzug zu zerstören, bringt Peter Dreher den Betrachter wieder dazu, genauer hinzusehen und sich auf das zu konzentrieren, was vor ihm wirklich wirklich ist, nämlich das Bild und die von ihm getragene Malerei. Die Tun rangiert hier vor der schnöden Information und ist damit reine Praxis, nämlich das Sehen um des Sehens willen, ohne an einen bestimmten Zweck gebunden zu sein.
Irene von Neuendorff, Januar 2019